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ein Artikel von Gudrun Gassner
Wanderungen am Atlantik (Bretagne) | ©: www.praxis-jugendarbeit.de
Seit einigen Jahren hat "Erlebnispädagogik" Einzug gehalten in unterschiedliche Bereiche des öffentlichen Lebens, v.a. in der Jugendarbeit (im Freizeitbereich), sowohl offene als auch kirchliche Jugendarbeit, sogar in der Erwachsenenbildung werden zunehmend erlebnispädagogische Maßnahmen angeboten und eingesetzt.
Dabei ist der Aspekt des "Erlebens" in der Pädagogik nichts Neues, war z.B. in der Reformpädagogik der 20er/30er Jahre relevant (Vertreter: Ellen Key, Maria Montessorei; ihr Ansatzpunkt: eine Pädagogik, die vom Kind ausgeht). Ebenso die Ideen und Konzepte von Kurt Hahn (1886-1974), die heute von der Erlebnispädagogik aufgegriffen und umgesetzt werden. (siehe Punkt 3)
Sicher ungewöhnlich, aber doch auch mit Erfolg durchgeführt, sind therapeutische Maßnahmen in den Bereichen Heimarbeit, Arbeit mit straffälligen Jugendlichen (Fahrradtouren, Kanufahrten, u.a., mit Jugendlichen aus Heimen, "Überlebenstraining" mit gewalttätigen Jugendlichen auf Korfu). Das Ausüben extremer Sportarten fällt meiner Meinung aus dem Rahmen von Erlebnispädagogik, weil es nicht ungefährlich sein kann, weil es ein Suchtverhalten (den "Kick) fördert, und vor allem, weil es am eigentlichen Ziel von Erlebnispädagogik vorbeigeht. (Einige Extrem-Sportarten: Free Climbing, Drachenfliegen, Surfen, Speed-Surfen, Wasserfallklettern, Downhill, Bun gee-Jumping, Ultraman, Skysurfen.)
Doch welche Aspekte der erlebnispädagogischen Arbeit für den Bereich Jugendarbeit sind wichtig? Dazu einige Gedanken (Thesen):
Raftingtouren - alle in einem Boot | ©: www.praxis-jugendarbeit.de
Thesen:
Diese erlebnispädagogischen Aktionen werden auch "Erfahrungslernen" 2 genannt; Kinder, Teenies und Jugendliche finden es dort interessant, wo was los ist, wo Spiel, Spaß, Aktion, Abenteuer, Spannung angeboten ist, - insofern eine sehr gute Möglichkeit, v.a. in der offenen Jugendarbeit, die ja auf Freiwilligkeit basiert. "Erfahrungslernern geht zwar von Action aus, berücksichtigt aber immer auch die pädagogischen Implikationen, schafft den Zusammenhang zwischen äußerem und innerem Erleben, zwischen Innenwelt und Außenwelt. Die Außenwelt wird dabei um so bewusster und differenziert wahrgenommen, je mehr durch "Learning by Doing" die Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen berührt wird." (ebd.) Durch das gemeinsame Handeln entsteht auch im zwischenmenschlichen Bereich eine andere Ebene/Atmosphäre - die "pädagogischen Mauern" zwischen Lehrer und Schülern im Schullandheim stürzen ein. Oft ist das Verhältnis zwischen Schülern - Lehrern danach besser, positiver.
Außerdem: alle wirken mit, sind mitverantwortlich, lernen an den Konsequenzen eigenen Handelns, kleine Schritte - gemeinsam - zur Bewältigung der Aufgaben.
Geistiger Vater und Begründer der Erlebnispädagogik ist der Reformpädagoge Kurt Hahn (1886-1974). 1920 praktizierte er in der Internatsschule Schloss Salem (Bodensee) die "Erlebnistherapie" , d.h. er integrierte erlebnispädagogische Elemente in den Stundenplan (körperliches Training, Expedition, Projekt, Rettungsdienst). 1941 gründet er die Outward-Bound-Schule in Wales (sein Ziel: junge Menschen müssen gerüstet sein mit dem Leben fertig zu werden; Vorbild: die englische Seefahrerschule, ein zur Ausfahrt gerüstetes Schiff).
Hahn analysierte die Gesellschaft und stellte fest, dass sie unter so genannten "Zivilisationskrankheiten" leidet (der Verfall des Erbarmens - also der Mangel an menschlicher Anteilnahme und zwischen menschlicher Beziehung, der Verfall der körperlichen Tauglichkeit, der Mangel an Sorgsamkeit, der Mangel an Initiative, der Hang sich gehen zu lassen, sich zu verweigern, in eine Zuschauermentalität zu verfallen). Dagegen setzte Hahn: körperliches Training - also Wandern, Laufen, Spielen, Turnen; Kunstübungen - wie Zeichnen und Modellieren; praktische Arbeiten im Garten, auf dem Feld, in der Werkstatt, auf dem Bauplatz usw.
Diese Ideen und Konzepte Hahns wurden später weiterentwickelt.
Heute spricht man von einem ganzheitlichen Bildungskonzept; Erlebnispädagogik ist "ein Lernen durch Kopf, Herz und Hand"
Die vier Aktivitäten,3 die Kurt Hahn in seinen Schulen neben dem Unterricht einführte:
Ziele:
Mittel:
Beispiele:
Outdoor-Aktivitäten: Wanderungen ©: Klaus Eppele - Fotolia
Die Jugendgruppe soll gemeinsam (bzw. teilt sich in 3-4 Gruppen auf) ein angepeiltes Ziel, z.B. einen Bauernhof, der 30 km vom Ausgangspunkt entfernt ist, erreichen. Dafür bekommt die Gruppe (bzw. jede Teilgruppe) eine bestimmte Ausrüstung, die für diese Wandertage nötig ist, z.B.: Karte und Kompass, Verpflegung bzw. Verpflegungsgeld, Koch- und Essgeschirr, Zelte, u.a., dann die persönlichen Sachen: Schlafsack, Isomatte, passende Kleidung, u.a. Jeder ist verantwortlich für seine eigenen Sachen (was er mitnimmt, den Rucksack selber tragen), zusätzlich kommen die Sachen zum Tragen hinzu, die für die ganze Gruppe benötigt werden; die Gruppe muss sich besprechen und einigen, wer was in den Rucksack packt und trägt, ebenso müssen verschieden Dinge geklärt werden (der Leiter darf sich nicht einmischen, auch keine Tipps geben, außer zu Beginn eine allgemeine Einführung und evtl. erklären, wie man den Kompaß verwendet), z.B.: die Fahrtroute, welchen Zielpunkt man am ersten Tag erreichen will, usw.; jeder ist gefordert mitzumachen. Auf dieser Wanderung kann folgendes "gelernt" werden: man ist körperlich gefordert, kommt evtl. an Grenzen (Hitze, der schwere Rucksack), man muss mit unvorhersehbaren Ereignissen zurechtkommen (wenn man sich verlaufen hat, Regen), man muss auf Schwächere Rücksicht nehmen, evtl. helfen - ein Gepäckstück abnehmen, wenn jemand einfach nicht mehr weiter kann / Blasen an den Füßen hat), man muss mit einfachen Mitteln und in beengten Verhältnissen (Zelt) zurechtkommen, man muss mit Konflikten und Meinungsverschiedenheiten konstruktiv umgehen (z.B. wenn sich ein Weg gabelt und die Gruppe geteilter Meinung ist, wie es nun weitergeht) und zusammenbleiben und gemeinsam eine Lösung suchen, Initiative ergreifen und Verantwortung für sich, aber auch für die anderen (wer geht einkaufen, wer kocht, wer stellt Zelte auf).
(Ähnliche Erfahrungen werden bei allen anderen Aktionen gemacht, wobei es, je nach erlebnispädagogischem Element / nach Sportart noch variieren kann.)
Siehe auch: Wandertouren
Die Gruppe ersteigt gemeinsam, durch ein Kletterseil verbunden und sich selbst sichernd, einen hohen Kletterbaum. Hier wird v.a. die soziale Kompetenz der Teilnehmer in Anspruch genommen, Vertrauen untereinander und sich ermutigen - ist hier gefordert (siehe auch Baumklettern - Baumerlebnisse).
Höhlentouren | ©: www.praxis-jugendarbeit.de
Diese Aktion wird oft im Zusammenhang mit Abseilen an einem Felsen und Abseilen in eine Schachthöhle durchgeführt; den Schluss bildet dann die Höhlenbefahrung. Neben den bereits genannten "Lernmöglichkeiten" ist hier noch folgendes gefordert (siehe auch Höhlentouren - Höhlen erforschen):
Erfahrungsmöglichkeiten für jeden einzelnen bei psychischen und emotionalen Grenzerfahrungen (da diese Aktion mehr auf den individuellen als auf den gruppenkontextuellen Erfahrungsbereich zielt) - z.B.: Das Abseilen in die Höhle wird als psychisch und emotional intensiv erlebt, der Wiederaufstieg an Seilklemmen erfordert viel Mühe, Kraft und Durchhaltevermögen.
Die Aufrechterhaltung der positiven Erfahrungsmöglichkeit des persönlich erlebten Erfolges für die Teilnehmer, die durch evtl. frustrierende Erlebnisse (in der Höhle hängen und nicht weiterkönnen)
Bei allen Aktionen kann man ganz organisch den Aspekt "Ökologie / Umwelt" auf- greifen, durch gezielte Beobachtungsaufgaben (z.B. in der Höhle) oder auch als Reflexion nach einer Aktion (was ist euch aufgefallen, was habt ihr gesehen); Umwelt kann so ganz anders erlebt werden; ein intensives Naturerlebnis ist sicherlich die Zwei-Tages-Wanderung (durch das Wandern, das Übernachten im Freien, dem dadurch ganz natürlichen "Ausgeliefertsein" an Naturelemente: Hitze, Regen, Nebel, mit Hindernissen und Schwierigkeiten klarkommen: Berge und Anhöhen überwinden, über Flüsse setzen, u.a.).
Wichtig ist bei allen Aktionen, dass sie nur von sachkundigen und erfahrenen Leitern (Erlebnispädagogen oder anderen kompetenten Leitern) durchgeführt werden sollen;
Grundvoraussetzung ist die Gewährleistung eines höchstmöglichen objektiven Sicherheitsstandards und ebenso, dass die Teilnehmer in alle Aktionen sorgfältig eingewiesen werden und mit dem benötigten Material zum Klettern und Abseilen (usw.) und sonstigen Sicherheitsvorkehrungen (Sicherungsknoten für den Ernstfall - beim Baumklettern) umgehen können, dies sollte vorher "geübt" werden.
(Auf die Anfragen, Kritikpunkte, Grenzen von: Erlebnispädagogik und christlicher Glaube, u.ä. gehe ich nicht näher ein.)
Grundsätzlich ist es eine gute Möglichkeit, erlebnispädagogische Elemente auf christlichen Freizeiten und Fahrten einzusetzen; es ist verschiedentlich eine Bereicherung, v.a. kann man den Jugendlichen auf praktische, hautnah erlebte Art Glaubensinhalte vermitteln. Das kann z.B. so aussehen:
Hans Peter Royer 5 spricht von einer "Christusorientierten Erlebnispädagogik". Wie er seine Aktionen pädagogisch und christlich fruchtbar macht, soll folgendes Beispiel 6 verdeutlichen:
"Beispiel HÖHLENBEFAHRUNG
Was hat mich dazu gebracht, mich dennoch darauf einzulassen?
Erst die christusorientierte Erlebnispädagogik macht ein Erlebnis wirklich reich. So reich, dass Menschen tatsächlich verändert nach Hause gehen, ein Fundament für ihr Leben entdecken, das nicht nur in der Höhle funktioniert, sondern auch zu Hause im Alltag."
Aus seiner Arbeit mit christusorientierter Erlebnispädagogik (EP) resultierend formuliert Royer Ziele, die ich zusammenfassend wiedergeben möchte:
Erlebnispädagogik: Unternehmungen die nicht alltäglich sind
©: www.praxis-jugendarbeit.de
Der Sinn von Upward Bound (u.a.) ist, dass dadurch Menschen bewusst gemacht werden soll, dass Gott uns als eine Einheit (Körper - Seele - Geist) geschaffen hat. Dabei gibt uns Jesus Prinzipien zum Leben und er ist selbst das Prinzip für alle Lebenslagen, die Anwort auf unsere Probleme ( Hungrigen - Ich bin das Brot, In Dunkelheit - Ich bin das Licht, Verirrten - Ich bin der Weg, Durstigen - Ich bin das lebendige Wasser, Ausgestoßenen - Ich bin die Tür, Verführten - Ich bin der Gute Hirte, Verwirrten - Ich bin die Wahrheit, Toten - Ich bin die Auferstehung).
Der Glaube soll / kann zu einem "Abenteuer höherer Ordnung" 7 werden, dazu gehört die persönliche Zumutung von Grenzerfahrungen in erlebnispädagogischen Aktionen.
Auch wenn vielleicht nicht alles Erlebte auf EP-Freizeiten sich umsetzen und übertragen läßt auf Gott und den christlichen Glauben, sind meines Erachtens doch wertvolle pädagogische Aspekte unmittelbar erfahrbar (für die Jugendlichen).
1. Jugendstiftung Baden Württemberg (Hrg.): Erlebnispädagogik - Theorie und Praxis in Aktion, Praxishilfen der Jugendstiftung Baden-Württemberg, Münster: Ökotopia Verlag Münster, (1997, 3. Aufl.), 1993; Adresse: Jugendstiftung Baden-Württemberg, Schloßstr. 23, 74372 Sersheim.
2. Boos, Stefan, u.a.: Erlebnispädagogik - der Boom und was dahinter steckt, Kuckusei 1/94.
3. Royer, Hans Peter, u. a.: Christusorientierte Erlebnispädagogik, Blickpunkt Teenager Nr. 53.
4. Born-Verlag (Hrg.): Ausgangs- und Zielpunkte der Erlebnispädagogik, Blickpunkt Teenager Nr. 47.
5. Schwarzenhölzer, Andreas: Extremklettern und Zitterspiele, Sendereihe des e.r.f. junge Welle, 8.03.1995, Wetzlar: Evangeliums-Rundfunk (Hrg.).
6. Fischer, Dieter, u.a. (Hrg.): (Er)leben statt reden - Erlebnispädagogik in der offenen Jugendarbeit, Weinheim/München 1991 (2. Aufl.).
1 Vgl. D. Fischer u.a. (Hrg.), (Er)leben statt reden, Erlebnispädagogik in der offenen Jugendarbeit, 2. Auflage, Weinheim/München, 1991, 37-41.
2 Vgl. Autor unbekannt, (aus) Blickpunkt Teenager, Nr. 47, 60.
3 Ebd., 58.
4 Vgl. A. Schwarzenhölzer, Extremklettern und Zitterspiele, Sendereihe des e.r.f. junge welle, Evangeliums-Rundfunk Wetzlar, 08.03. 1995 (Sendedatum), 3.
5 H.P. Royer ist staatl. gepr. Bergführer u. Skilehrer in Österreich, USA und Australien, Leiter einer Bergsteigerschule und Direktor des Christlichen Schulungszentrums "Tauernhof"; er führt Freizeiten und Seminare durch mit erlebnispädagogischen, christusorientierten Aktionen ("Upward Bound", "Outward Bound", u.a.).
6 Blickpunkt Teenager (Hrg.), Christusorientierte Erlebnispädagogik, Blickpunkt Teenager, Nr.53, 7-8. H.P. Royer beschreibt in diesem Beispiel seine Zielsetzungen und Erfahrungswerte.
7 Vgl. A. Schwarzenhölzer, Extremklettern und Zitterspiele, a.a.O., 4.
Der Artikel von Gudrun Gassner wurde uns vom Lebenszentrum Adelshofen freundlicherweise zur Verfügung gestellt.
Die Bilder sind von Hans Hirling
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